Freundin
Du warst die erste, die ich nackt malen durfte Du hast an mich geglaubt wie an deinen schönen Körper er verfällt und sie bleibt doch...
Der Nagellack fiel ihr als erstes auf. Türkis, dunkel glitzernd an den rechten Zehennägeln dieses fremden Mannes. Ein Freund ihrer Freundin war da. Er saß mit ihnen am Strand und grub seine Zehen in den Sand. Miranda bestaunte ihn ohne ein Wort zu sagen.
Er war mit seinem Rennrad gekommen. Ganz ungeeignet für die Sandwege zum Strand. Er erzählte nonstopp über die Tour de France Etappe, die er versucht hatte.
-Ich hab mich gequält, aber es ging irgendwie.
Miranda quälte sich nie. Weder auf dem Rad- sie fuhr freihändig lässig durch den Wald und über den Damm- noch im Wasser quälte sie sich, sie zog ihre Bahnen und tauchte, abtauchen war ihre Lieblingsbeschäftigung.
Sie wollte gerade aufstehen, um sich ins Wasser zu begeben, da fiel ihr auch der andere Fuß des Besuchers auf, die Nägel am anderen Fuß waren fliederfarbend. Sanft, mädchenhaft sah es aus. Er spielte mit den Zehen im Sand. Warum kommentierte nur niemand die lustigen Nägel. War das ein Clown?
Mirandas Zehen war dunkelbraun lackiert, sonst trug sie nichts, wälzte sich genüßlich im Sand und panierte sich wie ein Schnitzel.
-Ich find es etwas frisch heute, ohne T-shirt ginge das für mich nicht am Strand, meinte der Besucher.
Er saß aufrecht und sah über das Meer. Mirandas Freundin Doreen suchte nach Gesprächsstoff mit dem Freund von früher. Ob die Eltern immer noch den kleinen Laden hätten und die Apfelbäume im Garten noch stünden.
-Seid mir nicht böse, ich geh mal kurz ins Wasser, ich finde die Temperatur super, sagte Miranda. Ihre Freundin nickte nur.
-Ich glaube, ich komm mit. Der Freund sprang auf.
-War dir nicht eben kalt, wie heißt du nochmal?
-Andra heiße ich. Und ich habe gemerkt, daß dir langweilig war. Ehrlich gesagt ging es mir genauso.
-Und das T-shirt lässt du an?
-Ja, lass man. Ich will mich bewegen und du?
Miranda schaute ihre Freundin fragend an. Die holte sich ihr Buch aus der Tasche.
-Alles klar, viel Spass euch beiden.
Miranda sprang in wenigen Sätzen ins Wasser. Doreen schien erleichtert. Was Andra und Doreen verband, war Miranda nicht klar. Woher sollte sie das aber auch wissen. Ob sie wollte oder nicht, konnte sie Doreen nicht wirklich nah sein.
-Lass uns mal zu dem Boot schwimmen, ich hätte so gern so eine Yacht, sagte Andra im Wasser.
Miranda hatte das Boot an der Boje schon gesehen. Es schien unbesetzt und bewegte sich ziemlich heftig auf und ab. Als würde es Zeichen machen. Der Wellengang war doch gar nicht so stark gewesen, dachte sie noch. Instinktiv schwamm sie zur Ankerkette am Bug, um sich festzuhalten. Sie berührte die Kette und wurde augenblicklich nach unten gezogen. Die Kette ratterte. Einfach loslassen wäre die Devise. Andra war hinter ihr und griff auch an die Kette. Yeah, rief er und ließ sich fallen in die Fluten.
-Lass los wollte sie noch rufen, aber er war so voller Elan, irgendwie war alles egal.
Miranda konnte nicht loslassen. Andra riß den freien Arm hoch und rief ihr zu, ob er sie halten solle, alles sprudelte, atmen ging irgendwie wie von selbst, Miranda schüttelte den Kopf und genoß den Fall.
Nach wenigen Minuten fühlte sie wunderbar weichen Sand unter den Füßen und drückte sich kräftig ab, jetzt konnte sie loslassen und schoß wie ein Korken nach oben an die Wasseroberfläche.
Das Wasser war klar und glitzernd. Vor ihr schien die Nachmittagssonne auf eine Insel, scheinbar unbewohnt lag sie ruhig vor ihnen.
Andra gurgelte hinter ihr und robbte sich plantschend an Land.
-Was soll das nur. Eine Robinsonnummer oder was, dachte Miranda.
Sie schob sich langsam vorwärts. Den Kopf halb unter Wasser wie ein Krokodil schaute sie aufmerksam nach links und rechts. Gott sei Dank menschenleer. Nur dieser kleine Clown neben ihr. So klein war er gar nicht. Er reichte ihr die Hand, um sie ganz an Land zu ziehen, aber sie stütze sich allein auf. Sie saßen nebeneinander. Er zog das nasse T-Shirt über den Kopf und wrang es aus. Aus den Augenwinkeln beobachte sie ihn. Er wandte sich ihr zu.
- Hast du Hunger?
Als gäbe es nichts Wichtigeres. Miranda sah auf seine Brust. Er hatte eine lange Narbe von rechts nach links quer über seinen Leib.
-Nein danke. Ich habe keinen Hunger. Bitte sag mir nur, was hier los ist.
Vor ihnen lag das offene Meer.
Andra schwieg.
-Miranda. Schau mal die Weite, sagte er schließlich.
Miranda spürte die Ruhe. Es würde keinen Sinn machen, weiter nachzufragen. Komischerweise hatte sie keine Angst. Sie rutschte wieder etwas tiefer ins Wasser, kleine Wellen deckten sie zu. Langsam brach Dunkelheit herein. Der Wald hinter ihnen bekam dieses dunkelgrün, fast schwarz, was Miranda immer faszinierte. Es wurde kühl im Wasser und ehrlich gesagt, meldete sich jetzt auch etwas Hunger in Miranda Magen. Am Ende des Strandes tauchte plötzlich ein Licht auf.
-Ah Lavinia. Ich habe schon an sie gedacht, sagte Andra.
Das Licht war ein loderndes Feuer, das sich bewegte. Eine Frau, wie im Flammenkleid. Rotes Haar und glühende Füße. Als sie näher kam, hörte man Knistern bei jedem Schritt. Ihre Fußnägel waren auch lackiert, links orangerot, rechts in dunkellila. Sie kam langsam auf sie zu.
-Guten Abend ihr beiden. Braucht ihr mich? Oder besser: Darf ich mich etwas zu euch setzen? Ihr seht ein wenig blau aus, nachtblau.
Kicherte sie? Es wurde augenblicklich wohlig warm in ihrer Nähe.
Das Feuer schien sie nicht zu verzehren, aber sie brannte eindeutig. Wofür brenne ich. Der Gedanke huschte kurz durch Miranda Kopf.
-Darf ich dir ein paar Kartoffeln in die Hand drücken. Andra fragte, als sei es das Normalste der Welt. Er hatte sie aus seiner Hose geholt. Da war kein Geschlecht, sondern Kartoffeln.
-Aber ja, sagte Lavinia, dafür gebe ich mich gerne.
Sie rollte die Erdfrüchte zwischen ihren glühenden Händen, die wie Lava aussahen. Der Geruch von Lagerfeuer verbreitete sich. Miranda rückte unwillkürlich etwas näher.
-Pass auf, du. Nicht daß ich dich anstecke, flüsterte die Feuerdame.
-Andererseits könnten auch ein paar Funken überspringen. Möchtest du das?
Miranda zögerte.
-Ich glaube, ich würde mich sofort verbrennen, aber ich friere etwas.
-Wir haben hier ein gutes Gespür für Nähe und Distanz. Das wirst du bald auch spüren, wenn du willst. Wie heißt du?
-Miranda.
-Oh. Toller Name. Heute schon was Neues gesehen? Sie kicherte wieder.
-Bist du eine, die sich wundern kann, fragte sie weiter.
-Mich wundert hier bald gar nichts mehr, dachte Miranda, aber sagte nichts.
Lavinia brach die Kartoffeln in der Mitte und reichte sie dampfend gar Miranda und Andra. Dann zwirbelte sie an ihren kupferroten Locken und rieselte etwas Salz über Andras Kartoffel.
-Meersalz. Möchtest du auch?
Miranda nickte. Es wurde ein köstliches Mahl. Die wohlige Wärme in der Hand, im Mund und bald auch im Magen erfüllte sie.
-Ich muß los, sagte Andra, der Boss ruft mich. Er schob das letzte Stück Kartoffel in den Mund und war mit zwei Schritten abgetaucht -wie verschwunden.
Miranda setzte sich auf.
-Welcher Boss?
-Unser Meereskönig. Früher nannte man ihn Poseidon, aber das kann er nicht leiden. Er hat auch keinen Dreizack oder so. Er achtet einfach nur auf unseren Ozean und auf uns. Wieviel gefischt wird oder nicht. Wir respektieren das. Und manchmal verteilt er auch kleine Aufträge, Menschen zu fischen, so wie dich heute.
Sie kicherte schon wieder.
-Genug erzählt. Ich werde mal schnell Andras T-Shirt trocknen, dann kannst du es dir überziehen, dich in den Sand kuscheln und ein wenig zur Ruhe kommen, wenn du magst.
Sie hob das T-Shirt hoch pustete hinein wie ein gewaltiger Fön, es flatterte in ihren Händen und nach wenigen Minuten fiel es warm und flauschig in Miranda Schoß.
-Ich will nicht schlafen. Ich will zurück zu Doreen. Aber das T-shirt würde ich gern behalten.
-Klar, nimm es, du brauchst es sowieso für den Rückweg.
Miranda zog es über. Es war groß und fiel ihr über die Hüften.
-Wie meinst du das?
-Du wirst sehen, im Wasser brauchst du es. Mach`s gut. Ich bleib hier und leuchte dir noch ein bisschen zur Orientierung.
Plötzlich erinnerte sich Miranda an ihren Lieblingsleuchturm auf Hiddensee, der Dornbusch heißt. Der Dornbusch, der nicht verzehrt wurde, davon hatte sie in einem dicken Buch gelesen.
-Mach`s gut, Lavinia. Danke für alles.
Miranda stürzte sich in die Wellen. Sie hatte ungeheure Kraft und Freude bei jedem Zug, den sie kraulte. Und tatsächlich wurde das T-Shirt auf ihrem Leib auf einmal sehr schwer und zog sie in die Tiefe. Wieder blubberte das Wasser um sie. Sie ließ sich sinken ohne Furcht. Als sie den Boden unter den Füßen spürte, stieß sie sich ab und tauchte wieder an ihrem wohlbekannten Strand auf. Doreen lag in der Mittagssonne mit Strohhut und Buch auf ihrem Handtuch.
-Hey, da bist du ja wieder.
Miranda kam aus dem Wasser. Es brannte in ihr. Und was sie noch nicht bemerkt hatte, ihre Fußnägel waren links nicht mehr dunkelbraun, sondern schimmerten Perlmuttweiß mit einem leichten Blaustich. Sie sah Doreen an, ging auf sie zu und setzte sich einfach rittlings auf ihren Bauch.
-Hey. Gut, daß ich eine Abkühlung gebrauchen kann. Doreen grinste.
Miranda nahm ihr das Buch aus der Hand und beugte sich über sie.
-Lass mal den Oskar Wilde. Sie nahm Doreens Hände über ihren Kopf und stützte sich auf sie in den Sand. Doreen lächelte. Ihre grünen Augen strahlten. Miranda traute sich. Sie beugte sich tiefer und küsste Doreen sanft auf den Mund. Dann rollte sie sich zur Seite.
-Sorry. Hast du Andra gesehen?
Doreen lag ganz ruhig neben ihr mit geschlossenen Augen. Sie nahm vorsichtig Mirandas Hand. Sie lagen still. Mirandas Oberkörper hob sich bei jedem Atemzug.
-Der verrückte Vogel ist nur in Badehose aufs Rad gesprungen und sofort losgedüst mit einem Gruß an dich, er hatte es ganz dringend, sagte Doreen.
-Weißt du woher er die große Narbe auf der Brust hat? fragte Miranda.
Doreen schwieg einen Moment.
-Sieh mal was auf seinem T-shirt steht, das du anhast.
Miranda setzte sich auf und sah an sich herunter. In weißen Buchstaben konnte sie deutlich lesen und sie hätte schwören können, daß es da vorher noch nicht draufstand:
Fuck your gender.
Nimm nichts mit und lass nichts liegen
Ohne es für andere zu geben im Tausch
Steh auf und geh- setze dich der Welt entgegen
Steht auf dem Betonsockel der Wetterstation
das Wetter ändert sich auf der Wanderung mit Wanderlust
an ein Ende geraten
ein bisschen verlaufen
beim Schreiben gibt es immer eine zweite Chance
bin ich zu gierig wenn ich alles vom Leben will das man erlangen kann-
befreundet und alleine sein?
was ich mir wünsche ist schwer zu erreichen
habe ich es einmal in der Hand bin ich so ungehalten
als hätte ich nichts erreicht
schreibt Raoul Schrott in Finisterra
getröstet und ermutig im Schreiben
will ich deine Zeit nicht in Anspruch nehmen
trage deine Jacke
brauche also nicht deine Umarmung
zumindest nicht hier und jetzt
Lass uns ein gutes Finisterra finden
das Bild, das du entstehen sahst, heißt so
Ich bin keine Freundin
keine Blume vom letzten Herbst
Singe keinen Abschiedssong
Wie Hannes Wader
Obwohl mir längst klar ist, daß nichts bleibt
daß nichts bleibt, wie es war
Lieber nochmal Raoul Schrott:
lerne sprachen um deine im stillen zu finden
es sind die Gesten, die uns bewahrheiten
Ich bewahre deine Gesten, die mir zeigten, wie du mich magst,
auch wenn du dich nur in meine Gegend verlaufen hattest,
deine Briefe an mich und deine vielen Zeilen
die mir halfen, meine Sprache zu finden
​
Jetzt stehe ich auf und setze mich der Welt entgegen
Der angeschnittene Zweig im Glas treibt aus
wie ich angeschnitten
wie unser Traum vom Verlieben
Von deiner Welt des Schreibens in meine Welt
wenn immer wir uns lesen
der Frühling steckt im Gehölz
Welch Klischee für lieben jenseits der fünfzig
den Brief wie ein Kleinod in der Brusttasche tragend
du hast mich meine Liebe genannt
​
Ein breiter Silberschweif
Gespiegelt im See
Mein Blick prüft den Himmel
Ja, er leuchtet breit über das halbe Firmament
Ein Flugzeug zog vor Stunden einen schmalen Strich
Jetzt hat sich das Glück ausgebreitet
Wie mein Gefühl nach unserem Wiedersehen